Literatur und Erziehung im antiken Rom: Aneignung griechischer Bildung

Literatur und Erziehung im antiken Rom: Aneignung griechischer Bildung
Literatur und Erziehung im antiken Rom: Aneignung griechischer Bildung
 
»Das bezwungene Griechenland bezwang den wilden Sieger und brachte die Künste in das bäurische Latium!«, sagt der römische Dichter Horaz und hebt dann sachlich zutreffend hervor, dass sich die Römer erst langsam die griechische Literatur anverwandelten. Sie konnten, ihrer Tatkraft bewusst, verächtlich von den »Graeculi« (Griechlein) sprechen; für die Griechen dagegen waren die Römer zunächst Barbaren. Das änderte sich erst am Ende der römischen Republik und in der Kaiserzeit, als die Römer in Auseinandersetzung mit der griechischen sich eine eigene Literatur geschaffen hatten; in dieser Zeit sah man in den Völkern, von denen die jetzt gemeinsame griechisch-römische Zivilisation bedroht wurde, die Barbaren. Trotz allen Wandels war aber Griechenland als Herkunftsland überlegener Bildung unbestritten. Als Rom nach seinem Sieg über Karthago im zweiten Punischen Krieg seine Macht in den griechischen Osten ausdehnte, drangen alle Formen verfeinerten griechischen Lebens in Rom ein und riefen bei den Römern ein Nebeneinander von Ablehnung und Annahme hervor, dessen Spuren man noch bis weit in die Kaiserzeit hinein verfolgen kann.
 
Scipio der Jüngere, der Zerstörer von Karthago im dritten Punischen Krieg, zog Männer an sich, von denen (im Scipionenkreis) die Übernahme griechischen Gedankenguts gefördert wurde. Ihm ging es darum, mithilfe griechischer politischer Theorien entwickeltere Formen der Menschenführung zu praktizieren. Wenn auch Cato, sein wenig älterer Zeitgenosse, besonders auf griechische Philosophen und Ärzte schlecht zu sprechen war, so hätten doch seine Schrift über den Landbau und sein Geschichtswerk »Origines« ohne intensive Kenntnis griechischer Vorlagen nicht zustande kommen können. Die Römer eigneten sich so seit der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. mehr und mehr die griechische Literatur in einer die Gattungsgrenzen überschreitenden Breite an. Livius Andronicus zum Beispiel übertrug zugleich Epos, Tragödie und Komödie ins Lateinische; Cato schrieb nach griechischen Vorlagen neben den erwähnten Werken noch solche, die das gesamte Wissen umfassten.
 
Parallel zur Rezeption griechischer Literatur kam der Bildungsgang nach Rom, der in Griechenland in der Zeit des Hellenismus seine Ausprägung gefunden hatte. Dazu gehörte die dreistufige Form der Jugendbildung. Am Anfang stand, dem griechischen »Grammatistes« entsprechend, der »Ludi magister«, bei dem die Kinder Grundkenntnisse des Rechnens, vor allem aber Lesen und Schreiben lernten. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die körperliche Züchtigung; so spricht Horaz vom »schlägereichen Lehrer«, und noch in der Spätantike klagen Augustinus und Prudentius über die Hiebe, die sie in der Schule erhalten hatten. Die zweite Bildungsstufe bestand in der Beschäftigung mit der Literatur beim »Grammaticus«: Für den römischen Schulgebrauch übersetzte Livius Andronicus Homers »Odyssee« ins Lateinische; später betrieb man die Lektüre der »Annalen« des Ennius, dann von Vergils »Aeneis« und auch von Lukans »Pharsalia«.
 
Die dritte Stufe bildete die Ausbildung in Rhetorik. Wie in Griechenland trat von den drei Arten der Beredsamkeit - der Gerichtsrede, der Rede vor der politischen Öffentlichkeit und der Lobrede - die zweite mit dem Verlust demokratischer Regierungsformen zu Beginn der Kaiserzeit mehr und mehr zurück; in den Rhetorenschulen übte man sich von da ab an fiktiven, oft abstrusen Themen. Die Fähigkeit zu wohlgesetzter Rede blieb aber bis in die Spätantike Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere. An die rednerische Ausbildung schloss sich sehr oft die Ausbildung im Recht an; man widmete sich auch der Medizin, der Baukunst und anderen Wissenschaften. In der Zeit der Republik konnten sich allerdings Söhne hoch gestellter Römer hervorragenden Politikern und Rechtskundigen bei deren täglichen Aufgaben in der Öffentlichkeit anschließen und so den Umgang mit Recht und Politik aus der Praxis lernen; Senatorensöhne konnten auch an den Senatssitzungen teilnehmen. Überhaupt spielten Väter in der herkömmlich-römischen Erziehung eine große Rolle. Cato »knetete und formte« seinen Sohn, wie Plutarch schreibt. Doch die griechische dreistufige Ausbildung war das vorherrschende Modell; sie ist im gesamten Römischen Reich, im Osten in griechischer, im Westen in lateinischer Sprache in Übung gewesen. Die großen römischen Städte setzten ihren Stolz darein, Lehrstühle für Rhetorik zu unterhalten und Bibliotheken zum Gebrauch für die Öffentlichkeit zu errichten. Als seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. im Westen die römische politische Ordnung und Kultur unter den Germanenstürmen zusammenbrach, traten die christliche Kirche und vor allem die Klöster als Bewahrer der Bildung auf den Plan. Ihnen verdanken wir die Erhaltung vieler Texte, vor allem solcher, die der formalen (grammatisch-rhetorischen) Bildung gewidmet sind.
 
Prof. Dr. Hans Armin Gärtner und Dr. Helga Gärtner
 
 
Albrecht, Michael von: Geschichte der römischen Literatur. Von Andronicus bis Boethius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit.2 Bände. München 21994.
 Dihle, Albrecht: Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justinian. München 1989.
 Kähler, HeinzRom und seine Welt. Bilder zur Geschichte und Kultur. 2 Bände. München 1958-60.
 
Römische Literatur, herausgegeben von Manfred Fuhrmann u. a. Frankfurt am Main 1974.

Universal-Lexikon. 2012.

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